Rich, Du bist Anglist und Didaktiker, was gehört zu den Schwerpunkten Deiner Arbeit?
Ich war fast drei Jahrzehnte Lehrbeauftragter in der Amerikanistik und unterrichte "American Literature and Culture", aber ich habe mich im Laufe der Jahre mit allen möglichen Themen befasst, darunter Shakespeare, Faulkner, die Literatur des 19. Jahrhunderts, die britischen Romantiker wie Yeats oder Keats, die Gedichte Emily Dickinsons, die Beat-Poeten, African-American-Literature bis hin zu Diversity und Heterogenität in der Literaturwissenschaft. 2019 bekam ich dann die Möglichkeit in die "LehrerbildungPlus" der PSE einzusteigen und Kurse zu "Blended Learning für Englischunterricht" zu geben. Wir haben Kurse zu "Instructional Design", also die Gestaltung von Unterricht, entwickelt. Als dann die Pandemie kam habe ich noch mehr Blended Learning als ursprünglich gedacht gemacht. Da kam mir meine jahrelange Erfahrung in diesem Bereich durch vorherige Tätigkeiten zugute. An der Uni Stuttgart war ich nämlich immer "Adjunct Professor" und meine Hauptarbeit war Dozent für die University of Maryland an der amerikanischen Kaserne. Für die Soldaten dort hatte ich bereits sehr viele Blended Learning Konzepte entwickelt.
Seit wann beschäftigst Du Dich mit E-Learning und Blended Learning?
Ich habe schon früh mit solchen Formaten experimentiert, z.B. 1996 einen Email-Kurs durchgeführt und 1998 einen ersten Online Kurs zu British Romantic Poetry entwickelt. Dann habe ich mitgearbeitet an der Entwicklung eines Zertifikatskurses für Lehrende, über 5000 Professorinnen und Dozenten haben zwischen 1998 und 2012 diese Kurse belegt.
Richtig intensiv wurde es aber als Assistant Professor, English Language & Literature, für die University of Maryland für die amerikanischen Soldaten in den Stuttgarter Kasernen. Dabei war ich ganz am Anfang gar kein großer Fan von Blended Learning, es war halt eine Möglichkeit, weiterzumachen. Denn als der Afghanistan-Krieg begann, war mein Klassenzimmer plötzlich leer. Die Soldaten wollten aber trotzdem ihren Abschluss machen. Da war dann die Transition vom Klassenzimmer zu online nötig. Ich war zunächst überhaupt nicht begeistert. Aber nach der vierten oder fünften Woche habe ich gesehen, dass die wirklich was gelernt haben. Nach dem Krieg haben wir das beibehalten, weil es wirklich funktioniert hat und gut ankam bei den Studierenden: Die Studierenden wollten unbedingt verschiedene Optionen zum Lernen haben, nicht nur Präsenzunterricht.
Was hat Dich daran so fasziniert und was fasziniert Dich heute noch?
Als ich damals so schnell die Lehre für die amerikanischen Soldaten umstellen musste war ich zunächst einmal sehr fasziniert davon, dass das überhaupt möglich war, dass E-Learning in solch schwierigen Situationen tatsächlich funktioniert und zum Erfolg führt.
An E-Learning finde ich außerdem großartig, dass sich manche Studierende besser einbringen können als in der Präsenzlehre, dadurch dass Schreiben statt Sprechen im Vordergrund steht. Es gibt Menschen, die eher leiser sind. Aber online hat plötzlich jeder die Möglichkeit, mitzumachen. Die Studierenden lesen die Beiträge von anderen Studierenden - nicht nur ich als Dozent lese. Sie bekommen so ein besseres Gefühl für ihre Stärken und Schwächen. Außerdem besteht gut gemachte Online-Lehre aus wöchentlichen Aktivitäten, die das kontinuierliche Lernen fördern. Es gibt häufiges Feedback, nicht nur am Ende eines Kurses. Das kann ich auch bei meinen Studierenden in Stuttgart sehen: Ihr akademisches Englisch, zum Beispiel das Zitieren, wird durch das wöchentliche Schreiben kontinuierlich verbessert.
E-Learning ermöglich Flexibilität im Lernrhythmus, da das Lernen nicht auf ein spezielles Zeitfenster festgelegt ist. Beispielsweise wenn ein Studierender eine schwierige Woche hatte oder erst lernen kann, wenn die Kinder im Bett sind, ist die benötigte Flexibilität mit E-Learning möglich. Das finde ich großartig.
Welche Aufgaben hast Du am TIK?
Ich arbeite am TIK in mehreren Projekten mit. Eines davon ist das digit@L-Projekt. Eines der Ziele dieses Projekts ist es, die technischen Fähigkeiten von Lehrkräften (Lehrende und Lehramtsstudierende) und ihr Vertrauen in die Online-Lehre zu verbessern. Ich arbeite dort in einem tollen Team, zusammen mit Judith Bartels, Annika Jokiaho und Simone Loewe. Unter anderem halte ich im Projekt den Workshop "Was ist ein guter ILIAS-Kurs", sowie unterschiedliche Workshops zu ILIAS-Themen, z.B. Tests, Übungen, Design. Viele denken, ILIAS ist nur für "Hausaufgaben" oder nur ein Repositorium für die Pflichtlektüre, aber es kann so viel mehr. Es ist toll zu sehen, wie die Kursteilnehmer und Teilnehmerinnen merken, wie gut der richtige Einsatz von ILIAS ihre Lehre unterstützt. Derzeit entwickeln wir mit Birgit May einen Kriterienkatalog für gute ILIAS-Kurse, der Lehrkräfte bei der Erstellung solcher Kurse unterstützen soll. Der Katalog wird rund 20-25 Punkte umfassen. Die Teilnahme an unsere Workshops wächst, es sind alle dabei, von der Professorin zum Tutor.
Ich arbeite außerdem noch im Makerspace im Projekt MakEd_digital mit. Hier unterstütze ich die Arbeit von Sannah König, Maria Barnhart und Jan Vanvinkenroye. Derzeit versuche ich, Lehrenden Wege aufzuzeigen, wie Makerspace-Projekte im Curriculum untergebracht werden können, um traditionelle Lernaktivitäten wie Prüfungen zu transformieren. Gerade jetzt wenn KIs wie ChatGPT an Relevanz gewinnen ist es wichtig, an Prüfungsformen zu arbeiten.
Am TIK laufen derzeit mehrere Projekte zum Thema E-Learning und zum Thema Mediendidaktik. Deiner Einschätzung nach, welchen Beitrag leisten diese zur Weiterentwicklung der Lehre an der Universität?
Die Projekte passen sehr gut zusammen mit dem Projekt "Lehrerbildung Plus". Es werden gute Erfahrungen gesammelt, die sehr wichtig sind für die Lehramtsausbildung, aber auch für die Lehrenden der Universität. Wir gewinnen aus diesen unterschiedlichen Projekten Erkenntnisse zu unterschiedlichen Aspekten und können diese alle zusammentragen. Diese Erkenntnisse fließen auch ein in Projekte wie beispielweise eTwinning und Erasmus+.
Nicht zu unterschätzen ist auch, dass diese Projekte zum Networking beitragen. Es entstehen an der Universität Netzwerke von an E-Learning oder bestimmten Aspekten von E-Learning Interessierten. Das bringt die Lehre natürlich auch voran.
Ich würde sagen, wir sind noch in der Anfangsphase des E-Learnings in Deutschland und an der Uni Stuttgart. Es gibt noch nicht genügend Studien aus Deutschland, in anderen Ländern ist das anders und wir leisten mit diesen Projekten einen Beitrag dazu, solche Studien auch für deutsche Universitäten zu erstellen. Ich sehe in Deutschland derzeit einige Diskussionen, die bereits vor Jahren in den USA geführt wurden, beispielsweise zum Thema Plagiatssoftware. Ich denke, Deutschland wird hier sehr, sehr schnell nachholen. Wir sehen das an der Uni Stuttgart: Die Mediendidaktiker am TIK werden verstärkt angefragt, das Interesse von internationalen Studieninteressenten nimmt zu, und die Uni Stuttgart hat viele internationale Partneruniversitäten. Eigentlich sollte es bald normal sein, dass Studierende dieser Universitäten online an unseren Kursen teilnehmen können.
Was benötigen Lehrende aus Deiner Sicht, um gute Online-Lehre abhalten zu können?
In erster Linie Offenheit - "an open mind". Man kann nicht die Konzepte aus dem Klassenzimmer eins zu eins in die Online-Lehre übertragen. Das Problem ist, dass in der Pandemie viele das gemacht haben und nun denken, sie wüssten wie Online-Lehre gemacht wird. Aber man braucht für gute Online-Lehre unbedingt viel Training, sowohl didaktisch-strukturell als auch technisch. Und wenn man das hat - qualifizierte Lehrende und gute Kurskonzepte - dann wird die Online-Lehre viel, viel besser.
Gibt es so etwas wie "die universitäre Lehre der Zukunft" und in welche Richtung wird sich diese deiner Einschätzung nach entwickeln?
Ich denke, die universitäre Lehre wird sich noch stärker auf Studierende ausrichten. Studierende werden in ihrem gesamten Lernzyklus - von Bewerbung bis zum Abschluss - viel Unterstützung und direkte Ansprache erhalten. Das würde auch das Gefühl von Zugehörigkeit zur Universität, zum Studienfach, stärken, und dass Studierende genau das benötigen haben wir in den letzten Jahren ja gesehen. Die Motivation zum Lernen ist höher, wenn dieses Gefühl der Zugehörigkeit herrscht. Der Schritt von Schule zu Uni ist diesbezüglich noch sehr krass, das wird sich ändern müssen.
Zweitens denke ich, dass wir noch häufiger unterschiedlichen Lernmodalitäten einsetzen werden: Es wird ein Nebeneinander von Online-Lehre, Blended Learning und Präsenzlehre geben.
Drittens denke ich, dass wir, wie gesagt, verstärkt andere Prüfungsformen und -aufgaben einsetzen werden, die das Erreichen der Lernziele differenziert messen können. Das kann für den einen ein Test, für die andere z.B. ein Poster sein. Das kann sehr motivierend für Lernende sein.
Woran arbeitest Du derzeit?
Das letzte Jahr war so toll für mich, es gibt so viele tolle Projekte. Ich denke, meine Hauptarbeit für 2023 werden die internationalen Partnershaften für eTwinning sein. eTwinning ist ein EU-Programm für Schulen, bei dem Partnerschulen zunächst gemeinsam über eine Online-Plattform ein Online-Projekt durchführen. Danach wäre ein Erasmus+-finanzierter Besuch möglich. In dem Programm gibt es außerdem einen Bereich für Lehramtsstudierende. Ich bin Botschafter für dieses Programm und werde daran arbeiten, das Programm bekannter zu machen und Universitäten dabei unterstützen, Online-Kurse dafür aufzubauen. Diese Online-Kurse sind beispielsweise im Bereich der Lehrerfortbildung angesiedelt, bzw. im Bereich ITE (Initial Teacher Education). Letztes Jahr haben wir ein "EU Quality Label" gewonnen und gehörten zu den Top 12 der europäischen Universitäten für eTwinning. Diesen Erfolg möglichen wir natürlich wiederholen. Dieses Vorhaben hat inhaltliche Überschneidungen mit allen Projekten, in denen ich tätig bin - das ist sehr schön und ich bin froh, dass ich hierfür so viel Unterstützung bekomme, vor allem von der PSE und der PH Ludwigsburg.
Außerdem werde ich dieses Jahr weiterhin in der Fortbildung von Lehrenden tätig sein. Dazu gehört auch, Lehrenden an der Uni Stuttgart zu zeigen, wie man den Makerspace in Prüfungen benutzt und ins Curriculum aufnimmt. Außerdem wird es eine zweite Ausgabe des "Cogito", des „Literary Magazine“ von Studierenden der Uni Stuttgart und der Kunstakademie geben. Wie Sie sehen, langweilig wird es überhaupt nicht!